Die Beziehung zu direkten Vorgesetzten hat den grössten Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit und das Commitment von Mitarbeitenden – das zeigen Befragungen immer wieder. Führungskräfte spielen deshalb eine entscheidende Rolle für den Aufbau und den Erhalt einer Unternehmenskultur, in welcher Mitarbeitende engagiert sind und bleiben.
Wohin es führen kann, wenn Vorgesetzte nur «managen» und sich um die Beziehung zu ihren Mitarbeitenden – im Jargon gerne als «humane Ressourcen» oder «Personal» neutralisiert – foutieren, zeigt auf drastische Weise die aktuelle Entwicklung in Frankreich: In den vergangenen fünf Jahren berichteten Medien immer wieder über Suizide am Arbeitsplatz. Seit 2008 haben sich zum Beispiel gemäss einer Reportage der Radiosendung «Kontext» alleine bei «France Télécom» insgesamt 49 Mitarbeitende das Leben genommen. Diesem Bericht zufolge musste die Unternehmensleitung einräumen, dass die Selbsttötungen durch «brutales» Vorgehen des Managements mitverursacht wurden. Auch in anderen grossen, früher staatlich geführten französischen Unternehmen hat die unbedarfte Anwendung amerikanischer und japanischer Managementmethoden zu einem Arbeitsklima geführt, welches von Druck, Angst und Resignation geprägt wird.
Führungskräfte als «Klima-Ingenieure»
In der Schweiz ist die Misere auf dem Gebiet der Arbeitsbeziehungen (noch) kein öffentliches Thema. Aber jede und jeder kennt Beispiele wie dasjenige der neu antretenden Leiterin einer grösseren Bildungsinstitution, welche vom ersten Tag weg ihre neuen, direkt unterstellten Führungskräfte mit ausschliesslich kritischen Bemerkungen, im Befehlston ausgegebenen Anweisungen oder offensichtlichem Übergehen von Hierarchiestufen in den Griff zu bekommen sucht. Selten dagegen sind jene Fälle, in welchen sich Vorgesetzte für das Arbeitsklima im Unternehmen persönlich verantwortlich fühlen und die Beziehung zu Mitarbeitenden systematisch positiv zu gestalten versuchen. Wie bei anderen sogenannt «weichen» Faktoren herrscht die Meinung vor, Beziehungen seien etwas, was sich dem Wetter gleich einfach ergäbe – ohne Möglichkeit zur proaktiven Einflussnahme. Dem ist aber nicht so: Mitarbeiterführung und die Gestaltung nachhaltig produktiver Arbeitsbeziehungen können –und sollten – gelernt werden. Das ist die gute Nachricht.
Das Klima in einer Organisation bestimmt wesentlich Motivation und Energie, welche die Mitarbeitenden in ihre Arbeit stecken. Was können Führungskräfte dafür proaktiv tun? Die erste Lektion besteht darin, bewusst Positives zu betonen. Warum ist das besonders wichtig? Weil der Grundsatz «Schlechtes wirkt stärker als Gutes» auch bei der Arbeit gilt. Negatives, «problem talk», wie es der Vater des lösungsorientierten Coachings Steve de Shazer genannt hat, bekommt in unserer Wahrnehmung naturgegeben mehr Gewicht. Was aus überlebenstechnischen Gründen einst Sinn gemacht hat – wenn der Bär naht, ist Aktion gefragt! – ist in einem hochentwickelten System menschlicher Kooperation nicht optimal: An der Arbeit sollten grundsätzlich positive Emotionen dominieren, denn diese steigern nachgewiesenermassen die intellektuelle Leistungsfähigkeit und führen langfristig zu einem Ausbau der persönlichen Ressourcen. Aufgabe der professionellen Führungskraft ist es also, mit ihrer Kommunikation und ihren Interventionen den Fokus auf Positives zu legen – zum Beispiel durch eine gute Balance von negativen zu positiven Äusserungen. Nach allen bisherigen Untersuchungen liegt das optimale Verhältnis dafür irgendwo zwischen drei und neun erfreulichen Botschaften, die es braucht, um eine negative oder kritische Aussage zu kompensieren. Das gilt übrigens bei allen Beziehungen – beruflichen wie privaten!
Positive Beziehungen fördern
Positive Beziehungen haben eine vielfältige Wirkung für und zwischen Menschen: Sie führen beispielsweise zu tieferem Blutdruck, tieferem Ruhepuls, einer erhöhten Resistenz des Körpers bei Stress sowie durch die vermehrte Ausschüttung des «Bindungshormons» Oxytocin zur Suche von weiteren Kontaktmöglichkeiten – eine klassischen «Aufwärtsspirale» also. Kontaktbereitschaft ist für die heutigen, vernetzten Arbeitsbeziehungen absolut kritisch im Hinblick auf optimalen Datenfluss und Kooperation. Weitere Auswirkungen, die durch Forschungsresultate belegt sind, umfassen die Stärkung der eigenen Identität, eine akkuratere Selbsteinschätzung, mehr Offenheit für Neuerungen, eine höhere Kreativität sowie verbesserte Teamarbeit und Effizienz. Dies alles führt zu einer besseren Nutzung der bei den Mitarbeitenden vorhandenen Ressourcen und damit zu einem signifkanten Produktivitätsvorteil im Unternehmen.
Führungskräfte können auf verschiedene Weise positive Beziehungen an der Arbeit fördern. Ein Ansatz wurde bereits im ersten Artikel dieser Reihe, «Die Stärken im Fokus», ausführlich beschrieben: Das Finden und Fördern von spezifischen, besonders typischen Fähigkeiten einer Person stellt der Kern einer guten Führungsbeziehung dar. Weiter können gute persönliche Beziehungen zwischen Mitarbeitenden gefördert werden – Freundschaften am Arbeitsplatz erhöhen nachgewiesenermassen die Performance. Ein dritter Ansatzpunkt besteht darin, sogenannte «Positive Energizers», also Mitarbeitende mit einer guten und die Leistung von Kollegen / Kolleginnen beflügelnden Wirkung zu identifizieren, zu unterstützen und damit deren Wirkung für die Unternehmenskultur zu verstärken. Gleichzeitig müssen «Negative Energizers» erkannt werden: Wenn Mitarbeitende durch vorwiegend negative Kommunikation, unproduktiv kritische oder gar andere herabsetzende Weise das Unternehmensklima beeinflussen, sollte ihnen der oder die direkte Vorgesetzte ein klares Feedback geben und sie durch Coaching und Training unterstützen, ein anderes Verhalten an den Tag zu legen. «Korrosive Energie», wie das Heike Bruch von der Universität St. Gallen nennt, führt dazu, dass sich die Mitarbeitenden in offenen oder verdeckten Kämpfen gegenseitig absorbieren, statt ihre Kraft zusammen zur Erreichung der Unternehmensziele einzusetzen. Es ist deshalb eine ausgesprochen wichtige Aufgabe von Führungskräften, die Verbreitung von negativer Energie in der Organisation zu verhindern und positive Kräfte zu stärken. Womit wir wieder beim Beginn wären: Das proaktive Gestalten eines für die Entwicklung und Entfaltung der Mitarbeitenden förderlichen Unternehmensklimas ist eine der wichtigsten Führungsaufgaben und darf nicht dem Zufall überlassen werden.
Dieser Artikel erschien erstmals am 12.03.2011 unter dem Titel “Kultur der Produktivität” in “alpha”, dem Kadermarkt des “Tages Anzeigers” in Zürich.
Kultur der Produktivität